Kunst/Comic
Von Ein Mythenfreund on 16. November 2013
Ich bin ein Fan von Comics und finde sie doch belanglos. Ich bin ein Fan ihrer oft herausragenden, zeichnerisch handwerklichen Meisterschaft und bin in über 90 Prozent der Fälle von ihrem all zu oft trivialen Inhalt enttäuscht.

In DER TAG IM MOOR ist dies ganz anders. Oliver Grajewski hat ein grandioses Buch erschaffen. Ich habe das Gefühl mehr Kunst als Comic vor mir zu haben, mehr Ringen um Form und Inhalt, Ringen um das Was-erzählen? und das Wie-Erzählen? Und darin als Grundthema das Fragenstellen an die Gesellschaft und des Erzählerichs an sich selbst. Wo komme ich her? Wo geht’s hin? Und was mache ich mit den Dämonen vor meiner Haustür? Und wo ist diese Haustür?

Im Mainstreamcomic brilliert der Zeichner, neben dem Autor, in seinem Stil, bügelt zweifelsfrei sein Talent entlang der Nähte, Säume und Falten der zugrunde liegenden Erzählung an diese heran, manchmal auf diese drauf. Lässt letztere aber doch immer in ihren Zeichnungen vertrauensvoll geborgen. Geht nie ins Stammeln oder Bodenlose über.
Niemals wird das oberste Ziel, anhand fantastischer Räume eine verständlich illustrierte Geschichte zu erzählen, aus dem Auge verloren. Man will keine Kunst. Man will bloß unterhalten.

In DER TAG IM MOOR scheint die Zeichnung mit sich selbst zu ringen und gleichzeitig mit der Erzählung und dem Fortgang derselben. Oliver Grajewski zeichnet und schreibt um sein Leben, so scheint mir. Ein brachialer Stil(-Mix), ein erzählerischer Genrecluster voller Scratches. Expressiv, schwarz-weiss. Allover komponiert. Oft sprunghaft, ohne leicht konsumierbaren Fluss. Immer wieder alles über Bord werfend. Und doch in seiner Gesamtform geschlossen, bewältigt. Es stellt sich ein Gefühl von Sattheit ein, nach der Lektüre. Aber keines der Übersättigung oder Schalheit.

Im Gegenteil, man will es noch einmal lesen. Es bleiben einzelne Bilder haften, inhaltlich rätselhaft, formal kraftvoll und man wird das Gefühl nicht los, daß Grajewski keine Fiktion erzählt, sondern die Gegenwart durchkämmt, nach Sinn und Verständnis buddelt, ohne abschließendes Fazit. Am Ende sind noch mehr Fragen offen als zuvor. Es gibt keinen Schluss, keinen versöhnlichen Erzählbogen. Man ist eher Zeuge eines gezeichnet, geschriebenen Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Fantasierauschens. Eines ‘stream of consciousness‘. Von Gedankengängen und Fantasien, die sich in meinem heutigen, zum Monadentum tendierenden, vernetzten Kommunikationsalltag unheimlich und echt anfühlen.

Und genau deshalb ist DER TAG IM MOOR nicht bloß eine gezeichnete Bildergeschichte und tatsächlich ein Meisterstück, wie Andreas Platthaus in seinem Comicblog in der FAZ online schreibt.